Am 17. Dezember 2010 zündete sich ein junger Tunesier namens Mohamed Bouazizi selbst an, um gegen seine Behandlung durch die Polizei zu protestieren, und setzte damit die Welle der Aufstände in Gang, die als Arabischer Frühling bekannt wurde. Heute erlebt Tunesien die größte populäre Revolte seit diesen Tagen. Tausende sind auf den Straßen und stellen sich Woche für Woche der Polizei entgegen. Im folgenden Bericht erklären unsere tunesischen Gefährt:innen den Kontext dieser neuen Revolte und erkunden, was sich verändert hat und was gleich geblieben ist. Was wir in Tunesien sehen, ist ein Vorgeschmack auf die nächste Runde der revolutionären Bewegungen in der Region.
Das obige Foto zeigt Teilnehmende der tunesischen antifaschistischen Gruppe Wrong Generation, die ein Banner tragen, das ihren Slogan verkündet: »Es gibt Wut unter dem Boden.«
Von 2011 zu 2021
Als Tunesier:in werde ich immer wieder gefragt: »War die Revolution 2011 erfolgreich?« Es gibt keinen einfache Antwort, ohne die Kämpfe des letzten Jahrzehnts zu beschreiben. Generell ist unsere Analyse, dass das heutige Tunesien den meisten anderen Demokratien ähnelt, die im globalen Kapitalismus existieren. Wir stehen vor den gleichen politischen und wirtschaftlichen Krisen, der gleichen staatlichen Gewalt, den gleichen Fragen.
Tunesien war der Geburtsort der Aufstände, die Nordafrika und den Nahen Osten erfasst haben, und es ist das einzige Land in der Region, das seinen Diktator abgesetzt hat, ohne einen Militärputsch wie in Ägypten oder einen Bürgerkrieg wie in Syrien zu erleben. Allerdings ist es auch keine Utopie. Das Land hat in den letzten zehn Jahren mehr als zehn Regierungen und eine Menge Konflikte erlebt. Ein Jahrzehnt nach dem Sturz der Regierung sind unsere Forderungen immer noch die gleichen: »Würde, Freiheit, Gerechtigkeit.«
Der Aufstand vom Januar 2011 brachte eine große Bandbreite an Menschen zusammen, von den Wütenden und Arbeitslosen bis hin zu islamischen Fundamentalist:innen, Marxist:innen, der Piratenpartei und einer Handvoll Anarchist:innen.1 Auf dem Höhepunkt der Revolution, am 14. Januar 2011, floh unser ehemaliger Diktator Ben Ali mit seinen nahen Familienmitgliedern nach Saudi Arabien. Ein paar von Ben Alis Familienmitgliedern kamen ins Gefängnis, aber seine politische Partei blieb aktiv und Tunesiens Business-Klasse wurde nur noch mächtiger.
Die erste Regierung nach der Revolution wurde vom Premierminister des vorherigen Regimes angeführt, gefolgt von einer weiteren Regierung, deren Mitglieder ebenfalls Teil des alten Regimes gewesen waren. Beide scheiterten und machten den Weg frei für das neue Wahlsystem. Die erste »faire und gerechte Wahl« in der Geschichte Tunesiens fand später im Jahr 2011 statt, bei der eine von der Bevölkerung gewählte verfassungsgebende Versammlung gewählt und mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung beauftragt wurde. So wie Mohamed Morsi von der Muslimbruderschaft die Präsidentschaftswahlen nach der ägyptischen Revolution gewann, gewann in Tunesien die Nahdha, eine fundamentalistische islamistische Partei, die Mehrheit der Sitze in dieser Wahl, die sich gegen die anderen Teilnehmenden der Revolution richtete.
2013, im selben Jahr in dem das Weltsozialforum in Tunesien stattfand, wurden zwei wichtige Persönlichkeiten, die die Linke vereinen wollten, auf mysteriöse Weise ermordet: Chokri Belaid und Mohamed Brahmi. Alle Hinweise deuten auf fundamentalistische Islamisten hin. Von 2011 bis 2016 haben fundamentalistische islamistische Organisationen mit ISIS-ähnlichen Ideologien mit Hilfe der Nahdha-Partei an Macht gewonnen. Tunesien war einer der Hauptexporteure von Freiwilligen für ISIS; seit 2011 gab es mindestens fünf große Terroranschläge in Tunesien. Dennoch ist der islamische Fundamentalismus hier weniger verbreitet als in vielen Ländern dieser Region.
Eine der ersten bedeutenden Bewegungen nach der Revolution war »Manich Msemeh« (»Ich werde nicht vergeben«), in der sich junge Menschen zusammenschlossen, um das Versöhnungsgesetz von 2014 zu bekämpfen, das denjenigen vergeben sollte, die an den vorherigen Regimen vor der Revolution beteiligt waren.
Heythem Guesmi, ein Revolutionär und Mitglied der Manich Msemeh-Bewegung, betrachtet es als einen Sieg, da es sich um eine horizontale Bewegung handelte, die mit dem orthodoxen Parteiensystem brach, das von den verschiedenen kommunistischen Parteien der Linken gefördert wurde. Seiner Meinung nach wurde »uns die Revolution gestohlen« und das Versöhnungsgesetz hat dieses Gefühl nur noch verstärkt. Er merkt an, dass, obwohl »zivilgesellschaftliche« Organisationen (d.h. liberale Gruppen) sich der Bewegung in ihrer zweiten Phase anschlossen, sie sich nur auf die technische Seite des Gesetzes konzentrierten, indem sie mit den juristischen Institutionen zusammenarbeiteten, um es zu bekämpfen – während die Revolutionär:innen in der Bewegung sich auf die philosophischen Implikationen der Rückgabe der Macht an diejenigen konzentrierten, die Tunesien in den letzten 50 Jahren regiert hatten. Am Ende wurde das Gesetz nicht verabschiedet.
Ahmed Tlili, ein tunesischer Kämpfer, betont ebenfalls die Bedeutung der kleinen Siege beim Aufbau einer neuen Generation. Mehr als 50 Jahre lang, unter Ben Ali und Bourguiba, den vorherigen Diktatoren, lebten die Tunesier:innen unter totaler Überwachung; sie wurden ins Exil geschickt, gefoltert oder getötet, weil sie politische Flugblätter druckten oder Lieder sangen, die als Anti-Establishment interpretiert werden konnten. Diese neue Generation ist unter anderen Bedingungen aufgewachsen, ohne Internetzensur, mit mehr Meinungsfreiheit und mit der Erfahrung, was es bedeutet, gegen eine Diktatur zu kämpfen. Dies hat eine Generation hervorgebracht, die selbstbewusster im Widerstand gegen die Polizei und das Patriarchat ist, als es die älteren Generationen waren.
Die islamische Partei Nahdha hat kürzlich ein Bündnis mit »Kalb Tounes« (der liberalen Partei – deren Vorsitzender wegen Geldwäsche im Gefängnis sitzt, dank einer Gruppe junger Tunesier:innen, die den Fall jahrelang verfolgte) und der Konstitutionellen Demokratischen Versammlung (RCD), der Partei Ben Alis und der einzigen Regierungspartei vom Beginn der tunesischen Unabhängigkeit 1956 bis zur Revolution 2011, geschlossen. Diese Allianz bildet die absolute Mehrheit im Parlament, ein Symbol für Korruption und eine der Hauptursachen für Armut, Ungleichheit und Patriarchat. Dies hat dazu geführt, dass die Menschen keine Hoffnung auf Reformen haben und zu dem Schluss kommen, dass der einzige Weg nach vorne der Aufstand oder eine weitere Revolution ist.
Die ersten Anzeichen der aktuellen Revolte erschienen vor drei Monaten. Im November 2020 hielt ein Abgeordneter im Parlament eine Rede, in der er sich gegen Abtreibung aussprach, alle »befreiten« Frauen als »Huren« bezeichnete und speziell alleinerziehende Mütter anprangerte. Am 8. Dezember protestierten Frauen vor dem Parlament und hielten Schilder mit der Aufschrift »Wir sind alle Huren bis zum Sturz des Patriarchats.« Zwei Tage später verkündete das Parlament das Budget für 2021, was viele Menschen verärgerte. Mitten in der COVID-19-Pandemie wurden nur sehr wenige Mittel für die öffentliche Gesundheit bereitgestellt.
Trotz der Wirtschaftskrise, die durch die Pandemie ausgelöst wurde, kaufte die Regierung Anfang Januar eine Flotte nagelneuer Anti-Riot-Trucks, zusammen mit 60 Fahrzeugen für die tunesische Polizei.
Am 9. Januar gingen Fußballfans auf die Straße, um gegen die Korruption des Präsidenten ihres Fußballvereins, Le Club Africain, zu protestieren. Fußball ist in Tunesien schon immer politisiert; er ist das einzige Ausdrucksmittel oder Vergnügen, das der Arbeiter:innenklasse bleibt. Es gibt eine lange Tradition von Fußballliedern, die Egalitarismus und Rebellion fördern. Gleichzeitig sind die Präsidenten der Fußballmannschaften seit jeher in die Regierung involviert – ein großess System der Geldwäsche. In ihrem Protest rahmten die Fans Le Club Africain als ein Symbol für das, was im ganzen Land passiert. Die Polizei verhaftete 300 von ihnen, 200 davon waren minderjährig. Dies erzürnte viele Menschen.
Der 14. Januar 2021 war der zehnte Jahrestag des Sieges der tunesischen Revolution. Am Abend des 12. Januar gab die Regierung bekannt, dass es vom 14. Januar bis zum 17. Januar eine totale Abriegelung geben würde. Sie begründeten dies mit der COVID-19-Pandemie, aber der wahre Grund war offensichtlich. Am 14. Januar versammelten sich Tausende auf den Straßen, um der Lockdown-Anordnung zu trotzen.
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Heute sind seit Beginn der Unruhen mehr als 1600 Menschen verhaftet worden. Diese Bewegung bringt eine neue Koalition aus Fußballfans, Student:innen, Anarchist:innen, Kommunist:innen, Bäuer:innen und anderen Rebell:innen zusammen. Bemerkenswert ist die Abwesenheit der Fundamentalist:innen, die eine so bedeutende Rolle bei der Ausweitung und dem Verrat des Aufstandes von 2011 spielten. Die nächste Runde der Bewegungen steht in einem Kontext, in dem der islamische Fundamentalismus mit dem Staat verbunden ist. Die Rebellion muss eine kritische Masse zusammenbringen, um sich ihm von außen entgegenzustellen.
Obwohl Tunesien ein kleines Land ist, mit einer Bevölkerung, die nicht viel größer ist als New York City, hat es wiederholt als Indikator für die Ereignisse in der gesamten Region gedient. Es ist ethnisch und religiös homogener als viele Nachbarländer; wenn in diesen vergleichsweise stabilen Verhältnissen eine Revolte ausbricht, kann das ein Hinweis darauf sein, dass sie sich wahrscheinlich ausbreiten wird. Dies ist bedeutsam, da wir in die globale Wirtschaftskrise eintreten, die durch die COVID-19-Pandemie ausgelöst wurde.
Elektoralismus ist keine Lösung
Bei der letzten Wahl gab es etwas, was es in Tunesien noch nie gegeben hat: Drei Millionen Menschen – 70 % der Wählenden – gaben ihre Stimme für Kais Saeid ab, einen Juraprofessor, der keiner politischen Partei angehört. Er finanzierte seine Kampagne mit 3000 Dinar (1000 Dollar) von seinem eigenen Geld und kleinen Spenden. Im Gegensatz zu Kandidat:innen anderer Parteien lehnte Saeid die übliche 60k-»Zuwendung« von der Regierung, oder sollte ich sagen, aus den Taschen der einfachen Leute, ab, um den Wahlkampf zu finanzieren. Ein Präsident, der »ehrlich« klang und handelte, er wiederholte immer wieder, dass er auf der Seite des »Volkes« steht und nicht auf der der politischen Parteien. In den Augen der Tunesier:innen »haben wir gegen die Korruption gewonnen«.
In den ersten Monaten seiner Amtszeit entschied sich Saeid dafür, weiterhin in seinem bescheidenen Haus in einem bürgerlichen Viertel statt im Präsidentenpalast zu wohnen und seinen Morgenkaffee im örtlichen Café zu trinken. Und gerade diese Woche, am 3. Februar 2021, inmitten einer Demonstration mit Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und der Polizei, machte der Präsident einen Überraschungsbesuch auf der Straße, sprach mit den Menschen und hörte sich ihre »Forderungen« an. Er wiederholte die gleiche Rede immer und immer wieder: »Ich stehe zu euch, dem Volk, und ich werde nicht zulassen, dass ihr ein Bissen im Mund der korrupten Politiker:innen seid.« Er prangerte sogar die Polizei an und sagte: »Es gibt keine schlechte Polizei und keine gute Polizei, das kommt alles von der Regierung.«
Das klingt wie ein Kindermärchen über einen wohlwollenden Monarchen, der seine Untertanen liebt und in einer bescheidenen Hütte statt in seinem luxuriösen Schloss lebt, getarnt als normaler Mensch. Doch die Menschen haben langsam erkannt, dass ein »netter« Präsident weder ihre Situation verändert, noch ihre Kämpfe leichter gemacht hat. Die Menschen sehen, dass das Wahlsystem immer wieder versagt hat, Veränderungen herbeizuführen – dass die wirkliche Macht entweder in den Händen der Regierung liegt, also dem Parlament und den Minister:innen und vor allem der Polizei, oder in ihren eigenen Händen, wenn sie auf die Straße gehen.
Demokratie in Tunesien
Selbst dort, wo er nicht in schwerer Unterdrückung oder Bürgerkrieg endete, wurde der sogenannte Arabische Frühling größtenteils in Bewegungen für Wahldemokratie kanalisiert, mit den gleichen enttäuschenden Ergebnissen, die solche Bewegungen in Europa, den Vereinigten Staaten und Lateinamerika erzielten.
Heute ist das Wort »Demokratie« in Tunesien unter den Linken meist negativ konnotiert. Es wird meist mit Kapitalismus und den aktuellen (neo)liberalen demokratischen Staaten assoziiert – und selbstverständlich mit Imperialismus. Allerdings gehen die Meinungen darüber auseinander, womit die Demokratie ersetzt werden soll.
Die existierenden kommunistischen Gruppen in Tunesien nahmen am Kampf für die Unabhängigkeit von Frankreich teil und waren dann gezwungen, 50 Jahre lang in den Untergrund zu gehen, wo sie mit Unterdrückung und Inhaftierung, Folter und Ermordung konfrontiert waren. Für sie war es ein wahr gewordener Traum, zum ersten Mal in der Geschichte an einem Wahlsystem teilzunehmen und eine Rolle als Oppositionsgruppe im Prozess der Ausarbeitung der neuen Verfassung zu spielen.
Es gibt jedoch eine Kontroverse entlang der Generationslinien, wie der aktuelle Kampf zu verstehen ist. Wir sehen eine anhaltende Erfahrung von Trauma, die die ältere Generation betrifft, zum Beispiel in ihrer Weigerung, technologische Werkzeuge zu nutzen (weder digitale Nachrichten noch das Veröffentlichen von Artikeln im Internet) aus Angst vor Überwachung. Sie stehen der Dezentralisierung kritisch gegenüber und glauben, dass das Parteiensystem der einzige Weg ist, die Regierung zu stürzen, auch wenn sie nicht an den Wahlen teilnehmen.
Unter den jüngeren Generationen der Linken gibt es jedoch einen neuen Geist. Die Menschen sehen, dass »Demokratie« nicht die Umsetzung der Dinge garantiert, die die Revolution gefordert hat. Seit ein paar Jahren gibt es ein zunehmendes Interesse an Dezentralisierung.
Heythem Guesmi stellt fest, dass es zwei Wege gibt, um die Demokratie zu ersetzen. Der »politische« Ansatz wäre die Etablierung eines föderalen Systems à la Bookchin, mit rotierenden Verantwortlichkeiten. Um ehrlich zu sein, ähnelt dieses System dem, was der Präsident, Kais Saeid, vorschlägt. Auf jeden Fall wird dies einen längerfristigen Kampf erfordern.
Kurzfristig können kleinere Gruppen, die bereits durch materielle Affinität miteinander verbunden sind, mit anderen Gruppen gemeinsame Sache machen, um kollektive Autonomie aufzubauen, wie David Graeber sagt. Heythem sagt: »Selbst kleine Erfahrungen wie ein gemeinschaftliches Grillen in einem öffentlichen Park stellen einen Schritt in Richtung der Besetzung des öffentlichen Raums dar und bringen uns mehr in Kontakt mit unserer Identität und unseren Kämpfen.«
Polizeigewalt
Seit einigen Jahren will die tunesische Regierung ein Gesetz verabschieden, das der Polizei totale Immunität gewährt. Es gibt sogar einen Unterparagraphen in dem zu verabschiedenden Gesetz, der besagt, dass Menschen ins Gefängnis kommen können, wenn sie »die Gefühle der Polizei verletzen.«
Der Aktivist Wajdi Mehwachi wurde verhaftet und wird nun für das unten stehende Foto im Gefängnis gefoltert. Seine Geste symbolisiert die Korruption der Polizei, die Menschen nicht verhaftet, die die Mittel haben, sie zu bestechen; diejenigen, die die Macht in der Gesellschaft haben.
Die Polizeigewerkschaft befindet sich seit dem 28. Januar im Streik und behauptet, dass sie Beleidigungen und Demütigungen ausgesetzt sind. Demütigung – wie z.B. Menschen, die bunte Farbe auf ihre Schilde werfen, als Antwort darauf, dass sie Tränengas schießen und Menschen schlagen. Ihr »Streik« hat sie davon abgehalten, Verhaftete zum Gericht zu bringen, was zu Verzögerungen bei Gerichtsentscheidungen führt und Menschen im Gefängnis hält, aber es hat die Bullen nicht davon abgehalten, ihre Stöcke und Motorräder zu benutzen, um Demonstrierende anzugreifen, auch wenn sie nicht im Dienst sind. Heute ist die Straffreiheit der Polizei so groß wie nie zuvor seit der Revolution.
https://twitter.com/MedDhiaH/status/1355998943117774850
Hichem Mechichi, der Politiker, der die Koalition anführt, die das Parlament kontrolliert und somit de facto der Regierungschef ist, tritt immer noch in den Medien auf, unterstützt die Polizei und prangert »jede Form der Rebellion« an. Dies ist keine Überraschung nach dem bereits erwähnten Kauf von Anti-Riot-Fahrzeugen von Marseille Manutention, einer französischen Firma. Frankreich hat Ben Ali und jede tunesische Regierung seither unterstützt, um ihren Markt in ihren früheren Kolonien in Nordafrika zu schützen – Technologieunternehmen, Ölfirmen, Hotels und dergleichen. Die französische Einmischung in tunesische Angelegenheiten wird von den reaktionärsten Akteuren in Frankreich vorangetrieben2: Das aufgebauschte »Anti-Terror«-Verfahren gegen die Aktivist:innen in Tarnac wurde von der französischen Innenministerin Michèle Alliot-Marie angeführt, die auch erklärte, dass Frankreich Truppen zur Unterstützung von Ben Ali schicken sollte, bevor die Unterstützung des Arabischen Frühlings bei Politiker:innen in den USA und Europa in Mode kam.
Feminismus
Feministische Kämpfe waren entscheidend für die neue Welle der Organisierung. Seit der Revolution haben wir eine tunesische Version der #metoo-Bewegung erlebt, mehr LGBTQI-freundliche Räume und mehr progressive Kunst. Dies ist bedeutsam, in einem Teil der Welt, in dem Homo- und Frauenfeindlichkeit weit verbreitet sind.
Anfang Januar 2021 hat der Gouverneur von Gafsa, einem südwestlichen Gouvernourat [Bundesstaat], Frauen, deren Ehemänner berufstätig sind, von der Bewerbung um Regierungsjobs ausgeschlossen. Die Frauen in Gafsa reichten eine Forderung nach einer Massenscheidung ein und sagten, dass alle Frauen in Gafsa, denen das Recht auf Chancengleichheit wegen »ihrer arbeitenden Ehemänner« verweigert wurde, um eine Scheidung bitten.
»Wir meinen es ernst, wir lassen uns als Gruppe scheiden, wir haben genauso hart studiert, wir haben den gleichen Abschluss, und es ist unser Recht, uns für den gleichen Job zu bewerben«, sagte eine der Demonstrierenden.
Die Polizei ist nicht nur ein Problem während der Proteste, sie ist auch ein Teil des Fundaments der patriarchalen Gesellschaft in Tunesien. Alle Frauen bezeugen sexuelle Belästigung durch die Polizei, es ist eine Art Allgemeinwissen unter Frauen, eine geteilte Erfahrung mindestens einmal im Leben – wenn nicht viel öfter – wenn du eine tunesische Frau bist.
Konfrontiert mit der Ablehnung und Rebellion von Frauen, setzt sich die Polizei den Hut des »männlichen Beschützers« auf. Während Alkoholkonsum oder das Zeigen von Zuneigung in der Öffentlichkeit in Tunesien keine Straftaten sind, droht die Polizei oft damit, die Eltern von Frauen anzurufen, die sie bei diesen Dingen sehen, was Frauen in noch gefährlichere Situationen bringen kann, wenn sie aus konservativen Familien stammen.
Ich empfehle allen, den Film La Belle et la Meute von Kaouther Ben Hania aus dem Jahr 2017 zu sehen, der auf einer wahren Geschichte über eine Frau basiert, die von einem Polizisten vergewaltigt wurde und die Beleidigungen und Demütigungen ausgesetzt war, als sie versuchte, Anzeige zu erstatten. Während diese Geschichte außergewöhnlich klingen mag, ist sexuelle Belästigung durch die Polizei eine tägliche Tortur für tunesische Frauen.
Ahmed Tlili, der bereits erwähnte tunesische Kämpfer, stellt auch fest, dass die Nahdha-Partei ihre Macht im Parlament nutzte, um in allen anderen Institutionen der Gesellschaft Fuß zu fassen. Dies half der islamischen Partei, die konservative Ideologie durch Schulen, Kulturzentren und Medien zu verbreiten. Themen wie z.B. die Ablehnung der Abtreibung, die vor der Revolution nie diskutiert worden waren, gewinnen nun an Bedeutung. Wenn die radikale Linke hingegen versucht hat, neue Ideen durchzusetzen, wurden diese als »elitär und sehr bürgerlich«, ohne Kontakt zur Arbeiterklasse und den Armen, diffamiert; oder, wenn sie an Boden gewonnen haben, hat die Polizei religiöse Argumente benutzt, um die Unterdrückung der Linken im Allgemeinen und feministischer Aktivistinnen im Besonderen zu rechtfertigen.
https://twitter.com/YassineGaidi/status/1355590489265893378
Klassenkampf
Der gesamte Süden und Nordwesten Tunesiens ist sozial und politisch marginalisiert, zusammen mit allen Vierteln der Arbeiter:innenklasse. Heythem Guesmi weist darauf hin, dass diese Marginalisierung dem Prozess der Kolonisierung selbst ähnlich ist. Er verweist auf ein unübersetztes Buch von Sghaier Salhi mit dem Titel Internal Colonialism and Unequal Development, in dem er erklärt, dass diese Marginalisierung das Ergebnis einer jahrhundertelangen Ausbeutung der ressourcenreichen Regionen im Landesinneren ist, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht. Dies schuf ein Netzwerk von »Oberschichtfamilien«, die noch heute herrschen.
Wirtschaftliche Möglichkeiten gibt es nur für die Oberschicht; die Arbeitslosenquote in Tunesien hat 35% erreicht. Die COVID-19-Pandemie hat diese Kluft noch verschärft: es wurde berichtet, dass 70.000 Menschen ihre Arbeit verloren haben. Diese Zahlen berücksichtigen nicht den Schwarzmarkt in Tunesien, auf dem die meisten Menschen arbeiten – lokale Märkte, Lebensmittel-Trucks, Schneidereien, Bauarbeiten und dergleichen.
Die Kluft an Möglichkeiten und Rechten erstreckt sich auf wichtige Bereiche. Öffentliche Schulen sind geschlossen, während private Schulen die Ressourcen haben, um online zu unterrichten; öffentliche Krankenhäuser haben ihre Kapazitätsgrenze erreicht, während private Krankenhäuser für Reiche zugänglich sind; sogar Kunst ist exklusiv für reiche Leute in privaten Versammlungen geworden, während Theater- und Musikstätten geschlossen sind. Während die Wirtschaftskrise der Regierung einen Vorwand lieferte, um der Arbeiter:innenklasse höhere Steuern aufzuerlegen und Sozialprogramme zu kürzen, hat es sie nicht davon abgehalten, der Oberschicht Steuervermeidungsprogramme anzubieten, wie z.B. »Im Jahr 2020 werden keine Steuern für Yachtbesitzende erhoben.«
Zwei tunesischen Männern drohen derzeit 30 Jahre Gefängnis, weil sie Marihuana an einem öffentlichen Ort geraucht haben. Der Konsum oder Besitz von Marihuana wird mit einer Strafe von bis zu 5 Jahren geahndet, im Falle des Rauchens an einem öffentlichen Ort mit 10 bis 20 Jahren mehr. Die Anzahl der Jahre unterliegt der Auslegung durch den Richter. Diese Gesetze wurden ursprünglich 1992 geschaffen, als der Schwager des damaligen Diktators Ben Ali in Frankreich verhaftet wurde, weil er in ein Drogenschmuggelnetzwerk verwickelt war. Dieser Skandal setzte Ben Ali unter internationalen Druck – so schuf er ein Gesetz (Gesetz 52 des Strafgesetzbuches), um alle Konsument:innen von Marihuana sowie harten Drogen zu inhaftieren.
Die neue Regierung passte dieses Gesetz unter dem Druck der Öffentlichkeit an und verlagerte das Strafmaß auf null bis fünf Jahre, überließ aber die Auslegung dem Richter. Dies verschärft die Klassendiskriminierung; wir alle wissen, dass eine bürgerliche Person niemals für das Rauchen von Marihuana ins Gefängnis gehen wird. Die Demonstrierenden fordern, dass dieses Gesetz abgeschafft wird.
https://twitter.com/TarekBenMansou4/status/1355569233162170368
Heythem Guesmi argumentiert, dass die fundamentalistischen Islamist:innen erfolgreich waren, so viele Freiwillige zu rekrutieren, weil sie in marginalisierten Gemeinschaften, in lokalen Cafés, Moscheen und armen Universitäten eingebettet waren, während die »traditionelle« Linke elitär und bürgerlich blieb und ein reformistisches Verständnis von Demokratie propagierte. In mancher Hinsicht haben diese Fundamentalist:innen mehr mit der Linken gemeinsam als die Liberalen, da sie die Polizei, den Staat und den amerikanischen Imperialismus bekämpft haben. Die Meinungsverschiedenheit betrifft natürlich die Ziele der Bewegung und die Werkzeuge, mit denen sie kämpfen. Unglücklicherweise waren sie in den letzten zehn Jahren der Demokratie in Tunesien erfolgreicher beim Aufbau ihrer Bewegung und der Durchsetzung ihrer Hegemonie als die Linken, weil sie wussten, wie sie sich mit marginalisierten Gemeinschaften verbinden können.
In Tunesien gibt es eine weit verbreitete Identitätskrise. Das treibt die Menschen dazu, das Land zu verlassen, legal oder illegal, weil sie sich nicht zugehörig fühlen, oder sich ISIS zuzuwenden, die ihnen eine Identität in Form des fundamentalistischen Islamismus liefert. Den meisten Menschen fehlt das Gefühl der Zugehörigkeit, da sie an den Rand gedrängt wurden – mit Ausnahme der Oberschicht, die viele Gründe hat, dem Staat dankbar zu sein.
Die Sprache selbst stellt eine weitere Herausforderung dar, mit der sich die heutige Linke auseinandersetzen muss. Philosophische Texte und Geschichtsbücher – und sogar Artikel über internationale Bewegungen – erscheinen entweder gar nicht auf Arabisch oder nur in schlechten Übersetzungen, und schon gar nicht im tunesischen Dialekt. Heythem hat an einem Podcast gearbeitet, der darauf abzielt, Konzepte und Kämpfe im tunesischen Dialekt zu popularisieren, einschließlich Klassenkampf, Imperialismus, Identität und dergleichen. Obwohl sein Podcast keine neue Philosophie schafft, merkt er, dass er viel Unterstützung und Interesse nicht nur von Eliten und Gefährt:innen, sondern auch von sogenannten »normalen« Menschen bekommt.
Rosa Luxemburg argumentierte, dass die Rolle von Militanten, Aktivist:innen und der Linken im Allgemeinen darin besteht, die Mittel für den Kampf bereitzustellen und den Massen Solidarität zu bieten, anstatt »an ihrer Stelle zu denken.« Eine Partei, die für die Arbeiter:innen spricht, sie »vertritt« – zum Beispiel in den Parlamenten – und an ihrer Stelle handelt, wird zu einem Instrument der Konterrevolution.
Postkolonialismus
Es ist kein Geheimnis, dass die tunesische Wirtschaft in der Krise steckt. Der Internationale Währungsfonds spielt dabei eine wichtige Rolle, da er sich weigert, Kredite an Tunesien zu vergeben. Im globalen Kapitalismus spielt der IWF die Rolle eines globalen Bürgen für internationale Banken und ausländische Investitionen. Obwohl die IWF-Kredite in der Regel klein und unzureichend sind, hat der IWF zwei Vereinbarungen mit Tunesien in den Jahren 2013 und 2016 getroffen, die nicht angewandt wurden.
Letzten Monat drohte der IWF damit, Tunesien keine Kredite mehr zu gewähren, wenn diese Vereinbarungen nicht umgesetzt werden. Die Vereinbarungen beinhalten die Kürzung der Gehälter der Angestellt:innen des öffentlichen Sektors, die Entlassung eines bestimmten Prozentsatzes von ihnen, die Schaffung eines Komitees unter der Aufsicht des IWF, um den öffentlichen Sektor zu verwalten und die Privatisierung der nationalen Strom-, Wasser- und Telekommunikationsunternehmen. Tunesien hat bereits das Phosphatunternehmen, Tabak und die wenigen Ölfelder im Süden privatisiert.
Diese Vereinbarungen mit dem IWF haben die Zustimmung von Hichem Mechichi, dem de facto Regierungschef, und die Missbilligung von Präsident Kais Saeid erhalten. Wir können diese Uneinigkeit als politisches Geplänkel interpretieren, um zu bestimmen, wer an der Macht bleiben wird. Wenn der Streit nicht gelöst wird, könnte er dazu führen, dass sich das Parlament auflöst und Neuwahlen nötig werden. Laut Nadhmi Boughamoura, einem tunesischen Militanten, ist dies einer der Gründe, warum die Polizei in den letzten Monaten so brutal war. Die islamische Partei hat Angst, dass sie das gleiche Schicksal erleiden könnte wie die islamische Partei in Ägypten im Jahr 2013; deshalb haben sie eine Infrastruktur aufgebaut, die in das Innenministerium, das Rechtssystem und das Militär integriert ist und sich auf einen Aufstand oder eine Revolution gegen sie und die aktuelle Regierung vorbereitet. Sie haben auch versucht, den rechtlichen Rahmen zu entwickeln, um eine bewaffnete Miliz zu bilden, die exklusiv für die islamische Partei ist.
Laut Nadhmi wäre es für Tunesien wirtschaftlich und sozial selbstmörderisch, dem IWF-Plan zuzustimmen. Mehr Privatisierung wird zu mehr Ausbeutung führen und das Gesundheitssystem und das Wenige an sozialer Infrastruktur zerstören, das derzeit existiert. Er sagt: »Die Korruption der bestehenden Parteien zu bekämpfen ist dringend notwendig, aber nicht genug; die Bewegung muss gegen den globalen Kapitalismus sein, indem sie radikal neue sozioökonomische Strukturen aufbaut.«
Ein globaler Kampf
Anstatt diese Situation als eine Angelegenheit lokaler Probleme eines kleinen Landes zu verstehen, sehen wir sie in einem globalen Kontext, denn alle Kämpfe sind in einer globalisierten Welt miteinander verbunden. An einem Ort zu kämpfen bedeutet, überall zu kämpfen. Daraus folgt, dass wir eine internationale Solidarität brauchen.
Im Vorwort ihres Buches Caliban und die Hexe erinnert sich Silvia Federici – eine radikale Feministin aus der autonomen marxistischen und anarchistischen Tradition – an die Zeit, als sie Professorin in Nigeria war:
»Die nigerianische Regierung ließ sich auf Verhandlungen mit dem IWF und der Weltbank ein. Das erklärte Ziel des Programms war es, Nigeria auf dem internationalen Markt wettbewerbsfähig zu machen. Aber es war bald offensichtlich, dass es darauf abzielte, die letzten Überreste von Gemeinschaftseigentum und Gemeinschaftsbeziehungen zu zerstören. Es gab Angriffe auf kommunale Ländereien und ein entschiedenes Eingreifen des Staates (angestiftet von der Weltbank) in die Reproduktion der Arbeitskräfte: um die Geburtenrate zu regulieren und die Größe einer Bevölkerung zu reduzieren, die als zu anspruchsvoll und undiszipliniert im Hinblick auf ihre voraussichtliche Eingliederung in die globale Wirtschaft angesehen wurde… Ich wurde auch Zeugin, wie eine frauenfeindliche Kampagne angeheizt wurde, die die Eitelkeit und exzessiven Forderungen der Frauen anprangerte.«
»In Nigeria wurde mir klar, dass der Kampf gegen die Strukturanpassung bis zu den Ursprüngen des Kapitalismus im Europa und Amerika des 16. Jahrhunderts zurückreicht.«
Die tunesische Revolution war reformistisch. Heute ist die Hauptangst, die wir auf den Straßen sehen, dass sich die Geschichte wiederholt, indem die Forderungen nach radikalen Veränderungen kooptiert und auf Reformismus reduziert werden. Der einzige Weg, diese Forderungen zu schützen, ist durch eine internationalistische Bewegung. Heute brauchen wir mehr denn je eine internationalistische Bewegung, um ein Bewusstsein für alle Kämpfe überall zu schaffen und den Kapitalismus zu bekämpfen.
Neue Horizonte
»The Wrong Generation« ist ein junges tunesisches anarchistisches und antifaschistisches Kollektiv, das mit der orthodoxen Linken bricht. Sie wollen kein Parteiensystem, sie wollen keinen Anführenden oder Wortführenden; sie wollen einen radikalen Wandel. Eines der Mottos, die sie populär gemacht haben, ist »Tahet zliz fama takriz« (es gibt Wut unter dem Boden) – entweder inspiriert von dem tunesischen Dichter Abou El Kacem Chebbi, der gegen die Kolonisierung kämpfte und sich mit dem Slogan »Vorsicht, es gibt Feuer unter der Asche!« an die französischen Kolonisatoren wandte, oder aber von dem Motto des Mai-Aufstandes 1968 in Frankreich, »Sous les pavés, la plage!« (»Unter den Pflastersteinen, der Strand!«)
Maryam Mnaouar, eine tunesische Aktivistin seit der Zeit des Ben Ali-Regimes und eine Anwältin, die Protestierende pro bono verteidigt, wurde vom Regierungschef angewiesen, alle Aktivitäten ihrer Gruppe »The Tunisian Party« für einen Monat einzustellen. So bedrückend dies auch klingt, ist dies ein Zeichen dafür, dass die Regierung ihre Stimme und die zunehmende Unterstützung, die sie erhält, fürchtet.
Nadhmi Boughamoura, die Teil der linken Studentengewerkschaft war und sich derzeit in der kommunistischen Organisation »Struggle« engagiert, arbeitet nun mit den Demonstrierenden zusammen, um sich unter einer Koalition zu organisieren.
Nadhmi merkt an, dass dies das erste Mal ist, dass wir eine Koalition zwischen Kommunist:innen, Fußballfans, Mitgliedern der linken Studentenunion, Bäuer:innen und Anarchist:innen erleben. Nadhmi weist darauf hin, dass der Monat Januar in Tunesien schon immer symbolträchtig war: Der Brotaufstand von 1984, der Aufstand im Bergbaugebiet von 2008 und die Revolution 2011 fanden alle im Januar statt. Nadhmi merkte jedoch mit einem pessimistischeren Ton an, dass eine der Herausforderungen, die wir angehen müssen, darin besteht, wie wir diesen revolutionären Geist nutzen können und ihn nicht absterben lassen, wie es nach diesen früheren Umwälzungen der Fall war. Die Hauptforderungen dieser neuen Koalition sind die Abschaffung der polizeilichen Unterdrückung und die Ablehnung der vom IWF geforderten Maßnahmen. Maßnahmen einer Organisation, die den globalen Kapitalismus schützt und nicht nur Tunesien, sondern alle afrikanischen Länder ausbeutet.
Die Linke ist noch nicht ausreichend organisiert; wir müssen bessere Strategien kultivieren, um die Regierung zu stürzen und radikale Veränderungen zu erreichen. Heute führen die Gruppen »Wrong Generation« und »Struggle« mit unorthodoxen Strategien, während die alten linken Parteien aufgrund ihrer traditionellen Art zu organisieren und zu führen und ihres mangelnden Verständnisses für die Dynamik, die die neue Generation einführt, abwesend sind.
In den 50 Jahren, die auf die Unabhängigkeit Tunesiens folgten, regierten zwei Diktatoren das Land und zerstörten jede Hoffnung auf einen Aufstand. In den zehn Jahren nach der Revolution investierten die Menschen viel Vertrauen in das Wahlsystem und hofften, dass eine faire und gerechte Wahl eine egalitäre Gesellschaft schaffen könnte. Doch diese sehr unterschiedlichen Systeme haben das gleiche Ergebnis hervorgebracht.
Mit tunesischen Rebell:innen in Kontakt treten
Die antifaschistische Gruppe Wrong Generation hat eine Facebook-Seite.
Den Podcast von Heythem Guesmi kannst du hier hören.
Die Kampagne, die während dieser letzten Proteste entstanden ist, »das Programm der Bevölkerung gegen das Programm der Elite«, hat eine Facebook-Seite. Eine Übersetzung der Forderungen der Kampagne kannst du hier lesen.
Nachrichten-Seiten
inhiyez.com -ein unabhängiges Medienprojekt, das sich mit Armut, der Arbeiter:innenklasse und den Unterdrückten im Allgemeinen beschäftigt.
Inkyfada -Mehrsprachige Nachrichten aus der Region
Nawaat -eine mehrsprachige Nachrichtenseite
Übersetzung von SchwarzerPfeil, leicht editiert.
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Zum Beispiel die Kunstgruppe »Ahel el Kahef« (»Höhlenmensch«). Der Name ist inspiriert von einer Sure im Koran mit dem Titel Alkahef. Es waren Künstler:innen, die versuchten, die Beziehung zwischen den Menschen und ihrem Land, den Straßen, den öffentlichen Plätzen und der Arbeit auf der Grundlage der tunesischen Zugehörigkeit zu fördern, in einer Zeit, in der es eine klare Identitätskrise gab. Sie sagten: »Mohamed Bouazizi ist der erste plastische Künstler in Tunesien.« Eine weitere anarchistische Gruppe, die sich am Aufstand von 2011 beteiligte, war die Ungehorsam-Bewegung, die zu Besetzungen, Generalstreiks und breitem sozialen Ungehorsam aufrief. Die Ungehorsam-Bewegung vertrat die Ansicht, dass die Selbstorganisation der rebellierenden Menschen für revolutionäre Aktionen, die mit bürokratischen und hierarchischen Parteien und Gewerkschaften brechen, den einzigen revolutionären Weg darstellt. ↩
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Frankreich wollte seine Kolonien nie aufgeben; dies zeigt sich in der jüngsten Weigerung von Präsident Emmanuel Macron, sich für die französische Brutalität und Ausbeutung in Nordafrika zu entschuldigen. Aber in den 1950er-Jahren musste Frankreich seine Schlachten wählen. Rebell:innen in Algerien hatten eine hochentwickelte bewaffnete Guerillagruppe gegründet, die FLN. Da Algerien über wertvolle natürliche Ressourcen und eine viel größere französische Gemeinschaft in Oran und Algier verfügte, konzentrierte sich Frankreich darauf, Algerien zu halten und einen Übergang in die Unabhängigkeit zu arrangieren, bei dem die neue Regierung weiterhin die französischen Interessen unterstützen würde. Ben Ali hielt diese Beziehung aufrecht, so dass 50 Jahre lang die französische Kontrolle über den Markt in Tunesien gesichert war – erst 2011 wurde sie bedroht. ↩